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Donnerstag, 22. November 2012

Emmanuelle

(EMMANUELLE)
FRANKREICH 1973
Regie: Just Jaeckin


Schon zu Beginn versucht Just Jaeckin den Blick, den Eindruck, zu lenken, doch findet hier noch eine Entgegensetzung zwischen Gezeigtem und wie es gezeigt wird statt. Der Weichzeichnerfilter wird den Zuschauer in keiner Einstellung verlassen, aber zu Beginn sehen wir eine Frau im Morgenmantel, ganz gewöhnlich, mit kurzem Haar und sich rote Socken überziehend, mit denen sie in die Küche schlurft. Die romantisierende Wirkung des Weichzeichners wird erst im weiteren Verlauf des Films eine Einheit mit dem Gezeigten eingehen, doch erst mal sehen wir etwas sehr Alltägliches. Die Frau bereitet sich ein Frühstück zu, für Frankreich fast spartanisch, geht zurück ins Wohnzimmer und betrachtet ein paar S/W-Fotografien, die sie nackt in erotischen Posen ablichten. Es steckt nicht nur Narzissmus in dieser Einstellung, sondern auch der Wunsch über sich hinauszuwachsen. Der Wunsch mehr zu erfahren. EMMANUELLE ist schon allein deshalb eine Sensation, damals wie heute, da er sich als vielleicht erstes Werk des Kinos begreift, das die sexuelle Sinnsuche einer Frau thematisiert, ohne rein metaphorisch oder moralisch, höchstens verklärend zu wirken. Und auch diese Verklärung kann nur als Rettungsakt der Form gewertet werden. EMMANUELLE ist nicht der Film über eine Frau, welche Selbstbestimmung sucht, aber auch nicht der Film über eine Frau, die blind Männerfantasien erfüllt. Beides steckt selbstverständlich in ihr und dem Film, aber nichts davon wird ausgereift entwickelt. Darf es auch nicht, denn es geht nicht um eine didaktische Anleitung in Sachen sexueller Selbstbestimmung (die Aufklärungsfilme der zweiten Hälfte der 1960er gaben da schon genug Anlass zu lachen), sondern um ein in all seiner Fehlerhaftigkeit gezeichnetes Rauscherlebnis sexueller Trieberfüllung.

Emmanuelle ist die gerade erst 21 gewordene Frau eines Diplomaten und fährt ihm nach zu seiner neuen Wirkungsstätte in Bangkok. Die anderen Frauen der höheren Gesellschaft vertreiben sich dort die Langeweile mit sexuellen Eskapaden homo- und heterosexueller Natur. Es wird schnell deutlich gemacht, dass die Welt von Männern regiert wird und Frauen aufs Abstellgleis geschoben werden, wo sie zusehen müssen, sich die Zeit bis zu ihrem Ableben einigermaßen lustvoll zu vertreiben. In vielen Belangen wird der Umbruch der Zeiten deutlich. Es ist nicht mehr nur so, dass es für die Frauen selbstverständlich ist, dass ihre Männer sich die Zeit mit, zumeist jüngeren, anderen Frauen vertreiben, den Frauen ist es inzwischen gestattet selbiges zu tun: mit (jüngeren) Frauen, (jüngeren) Männern, mehreren auf einmal, egal. Doch Emmanuelle will mehr. Sie hat es schon genossen sich im Flugzeug während eines kurzen Fluges zuerst von einem Mann und später von einem anderen "nehmen" zu lassen. Sie will die totale Ekstase, die totale Erfüllung, um über die Erotik zur Frau zu werden. Hierfür wählt sie sich verschiedene Meister, in deren Obhut sie sich begibt. Die minderjährige Marie-Ange, die in allem so viel weiter ist als Emmanuelle, die herbe Bee, die als Archäologin arbeitet, ganze Männerhorden für ihre Arbeit befehligt, verheiratet ist und für die es selbstverständlich ist weibliche Gespielinnen zu haben und Mario, einen alten Connaisseur, der sämtliche sexuellen Begierden und ihre Möglichkeit zur Erfüllung kennt. In den ersten beiden findet Emmanuelle einen neuen Typ Frau. Ein minderjähriges, frühreifes Mädchen, welches zu Paul Newmans Konterfei vor Emmanuelle masturbiert und genau weiß, dass Emmanuelle zu Mario muss, damit sie sich selbst befreien kann. Bee, die völlig autarke Frau, zu einer Zeit, als die Feminismusbewegung gerade erst erreicht hat, dass eine Frau arbeiten darf, ohne dass ihr Ehemann Einspruch erheben kann. Die eine ist ihre Lehrerin, die andere ihre Geliebte. Doch Liebe kann sie so nicht finden. Um die geht es auch nicht. Es geht um die klare Trennung von Liebe und der Erfüllung aller sexuellen Wünsche.

Die Ambivalenz des Filmes wird zugespitzt, weil Emmanuelle diese Erfüllung durch den alten Lustgreis Mario findet. Dieser ist an Emmanuelle jedoch gar nicht interessiert. Er raucht Opium mit ihr und stiftet dann zwei Thailänder zu einer Vergewaltigung Emmanuelles an, welche diese zuerst versucht abzuwehren und sich ihr dann hingibt. An anderer Stelle gibt er einem betrunkenen Matrosen Geld, um Emmanuelle zu fingern. Dann lässt er zwei Thai-Boxer sich blutig schlagen und der Gewinner darf Emmanuelle vor versammelter Mannschaft von hinten nehmen. Just Jaeckin lässt durch die philosophierenden Dialoge Marios die Frage entstehen, ob es Bee überhaupt gegeben hat, ob Emmanuelle nicht schon immer in einer Traumwelt der Lust gelebt hat und so verschmelzen auch in den letzten Einstellungen Traum, (Wunsch-)Vorstellung und Realität. Emmanuelle und Mario haben Sex mit einer dritten, anonymen Person, einem Mann. Mario agiert seine Impotenz und homosexuelle Neigung über diesen aus, Emmanuelle erkennt das Prinzip des ewig weiblich Fordernden, welches der Mann erbringen muss, um sexuell bestehen zu können. Durch die letzte Einstellung will Jackin uns deutlich machen, dass Emmanuelle zur Frau geworden ist, einer selbstbestimmten.

Tja, seit mehr als 20 Jahren habe ich den nicht mehr gesehen und war doch überrascht, wie überrascht ich war. Die auf kunstvoll geschminkte Hülle kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Thematik des Filmes kein Stück von ihrer Aktualität verloren hat. Einer Aktualität, die wohl nie verloren gehen kann, da Frauen kulturgeschichtlich noch nie eine Freiheit in ihrer Sexualität erleben durften. Dabei spielt es letztendlich keine Rolle, ob es an Männern lag, die ebendiese aus Angst unterdrückt haben, oder Frauen, die diese unterdrücken, weil sie selber Angst davor haben. Ob der Weg in EMMANUELLE ein gangbarer ist? Unwichtig, er geht einen Weg und das ist wichtig.

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